Anteil nehmen
Dies ist die Langfassung unseres Redebeitrags, den wir auf der Feministischen Demonstration gegen patriarchale Gewalt am 25.11.23 in Dresden gehalten haben. Vorgetragen haben wir eine gekürzte Version. Unter dem Beitrag haben wir zusätzlich noch lesenswerte Presseartikel zum Thema unseres Redebeitrages verlinkt, die am 25.11.23 erschienen sind.
Wir wollen zu Beginn mit einer content note darauf hinweisen, dass wir im nachfolgenden Redebeitrag auf Gewalt gegen FLINTA zu sprechen kommen.
Heute ist der 25.11. – der internationale Tag gegen patriarchale Gewalt. Wir haben schon in einigen Redebeiträgen über Diskriminierungen, Anfeindungen und vielfältige Formen von Gewalt gehört, der FLINTA d.h. Frauen, Lesben, inter-, nicht-binäre, trans- und agender-Personen in Deutschland aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Geschlechtsidentität ausgesetzt sind. Vielen Dank für die bisherigen Beiträge und die Organisation dieser Demonstration! Wir müssen heute leider auch über die Gewalt an FLINTA sprechen, die 3.000 km südlich von hier stattgefunden hat: die Rede ist vom Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober – denn wir meinen er geht uns etwas an.
In den Morgenstunden des 7. Oktober startete die islamistische Hamas einen Großangriff auf Israel. Sie hat mehrere Tausend Raketen vom Gazastreifen auf israelische Siedlungen abgefeuert. Parallel dazu fielen 1.000-1.500 schwer bewaffnete Terroristen zu Lande, mit Gleitschirmen aus der Luft und über das Meer auf israelisches Staatsgebiet ein. Sie konnten in zahlreichen grenznahen Militärposten, Ortschaften und Kleinstädten in Südisrael eindringen und verübten dort ein Pogrom an der Zivilbevölkerung. In den Ortschaften gingen die palästinensischen Terroristen auf der Suche nach Opfern von Haus zu Haus. Sie durchsuchten Häuser, zerstörten, plünderten und legten Feuer. Sie töteten nicht allein möglichst viele Bewohner:innen, neben Juden:Jüdinnen auch Araber:innen, Beduin:innen sowie thailändische und nepalesische Arbeiter:innen, sondern verübten unvorstellbare Grausamkeiten, die unter Zuhilfenahme von Bodycams, Livestreams und einer wahren Flut von demütigenden Selfies und Videos verstärkt wurden und eine „genozidale Botschaft“ versendeten, wie Deborah Hartmann und Tobias Ebbrecht-Hartmann am 4.11. in einem Essay1 in der taz schreiben. 1200 Zivilist:innen wurden gefoltert, vergewaltigt, erschlagen, erstochen, erschossen, bei lebendigem Leib verbrannt. Es handelt sich um den größten Massenmord an Juden:Jüdinnen seit der Shoa. 240 Menschen wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt, wo – nach der gestrigen Entlassung von 13 Kindern und Frauen – der größte Teil von ihnen nach wie vor gefangen gehalten werden.
Das Massaker sollte die israelische Bevölkerung nicht nur an die Shoa erinnern, sondern Juden:Jüdinnen auf der ganzen Welt ihres Sicherheitsgefühls berauben. Aber das ist nur ein Aspekt. Ausdruck von Hass auf Juden:Jüdinnen. Eliminatorischer Antisemitismus. Das andere Motiv ist Frauenhass. Das ist nicht besonders verwunderlich, denn Frauenhass und Hass auf queere Menschen sind Kernelemente der Hamas-Ideologie.
Die Terroristen haben massenhaft FLINTA vergewaltigt, sie entblöst, ihre Leichen verstümmelt und vor laufenden Kameras bespuckt. Sie haben sie „wie Trophäen und ergatterte Beute“ auf ihren Social-Media-Kanälen und im Gazastreifen präsentiert.2 Sie haben ihre Grausamkeiten öffentlich Zurschau gestellt und bejubeln lassen. »Das war eine gezielte Entmenschlichung der Frauen, die bis dahin unbekannt war«, so die Einschätzung der Historikerin Julie Grimmeisen.3 Der Hamas ging es darum, sexualisierte Gewalt gegen FLINTA zu inszenieren und die Bilder aus ideologischen Gründen zu verbreiten. Die Hamas sei dabei brutaler vorgegangen als die Terrorgruppe »Islamischer Staat«, die ihre massenhaften Vergewaltigungen nicht dokumentierte. Ziel der Attacke war die Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der israelischen FLINTA. »Das war eine Message von Männern für Männer gegen Frauen«, so Grimmeisen.
Anastasia Tikhomirova schreibt in der taz: „Überlebende berichten davon, wie junge Frauen massenweise von den Terroristen neben den Leichen ihrer bereits exekutierten Freund:innen vergewaltigt und verstümmelt wurden. Viele von ihnen wurden danach erschossen, andere auf Jeeps und Motorrädern nach Gaza verschleppt. Unter den bis heute als vermisst oder verschleppt geltenden sind überproportional viele Mädchen und Frauen jeden Alters.“4
„Die Menschenrechtlerin Düzen Tekkal fühlte sich angesichts der Gewalt der Terrororganisation Hamas gegen israelische Zivilist:innen an den genozidalen Terror des „Islamischen Staats“ 2014 gegen Jesid:innen erinnert. Auch hier wurde Vergewaltigung systematisch als Waffe gegen jesidische Frauen eingesetzt. Tausende wurden verschleppt und blieben über Jahre in IS-Gefangenschaft.“5 Der Verein „Stelle für jezidische Angelegenheiten“ war es dann auch, der noch am 7. Oktober auf seinem Blog postete: „Als Jesidinnen und Jesiden können wir den Schmerz der israelischen Bevölkerung nicht nur verstehen, sondern auch schmerzlich nachempfinden: die Bilder von ermordeten Zivilist:innen, die teilweise im Schlaf von Terroristen überrascht wurden, und Aufnahmen von verschleppten Frauen und Kindern lassen die grausigen Bilder vom August 2014 vom jesidischen Shingal im Irak wieder lebendig werden.“6
Abgesehen von jesidischen, kurdischen und iranischen bzw. exiliranischen Stimmen und mit Ausnahme weniger feministischer Gruppen aus der radikalen Linken, z.B. der Gruppe fantifa aus Leipzig7, sind Feminist*innen auf der ganzen Welt entsetzlich schnell zur Tagesordnung übergegangen oder haben gar den Terrorangriff zum legitimen Widerstand erklärt.
Wir wollen an der Stelle noch einmal Düzen Tekkal zitieren: „An alle „Feministinnen“, die aus bequemer Ferne die Taten der #Hamas verklären: Ihr entsolidarisiert euch mit traumatisierten, vergewaltigten, entführten Jüdinnen. Ihr seid gegen #Femizide u. feiert eine Frauenmörderbande. Eine Schande!“ Die Unfähigkeit der Solidarisierung mit den Opfern zeigt sich in der Weigerung, die Täter in aller Deutlichkeit zu verurteilen. Tekkal folgert: der Hass auf Israel scheint ihnen wichtiger als ihr Feminismus.
Der andere Teil, der sich zumindestens nicht mit der Hamas gemein machte, hat geschwiegen und schweigt weiterhin. Unter dem Hashtag „#MeToo_Unless_UR_A_Jew“ beklagen Jüdinnen die Untätigkeit z.B. der UN Women in Bezug auf die grauenhafte Gewalt die Mädchen und Frauen durch die Hamas widerfahren ist. Ruth Halperin-Kaddari, Rechtsprofessorin und Frauenrechtlerin sagt in einem gestern erschienenen Interview mit dem Spiegel: „Ich habe bereits drei Tage nach dem 7. Oktober an verschiedene Uno-Organisationen geschrieben, um die Verurteilung der Taten gegen Frauen und Kinder und die extreme sexuelle Gewalt, die stattgefunden hat, anzuerkennen. Ich habe an UN Women geschrieben, an die Uno-Organisation gegen die Diskriminierung von Frauen und Mädchen, an die Uno-Sonderbeauftragte für Gewalt gegen Frauen und an weitere Uno-Institutionen und internationale Frauenrechtsorganisationen. Die Reaktion war erschütternd: Viele antworteten gar nicht.“8
Jüdinnen weltweit berichten von einem völligen Vertrauensverlust in die nicht-jüdische feministische Linke. Wir können das nachvollziehen und es schmerzt uns als solidarische Feminist*innen entsetzlich. Es ist ein schrecklicher Verrat, der zu allem Schmerz, Trauer, Trauma und Angst noch dazu kommt und Jüdinnen in die Verzweiflung treibt. Diese Verweigerung der Solidarität, die Verweigerung von Anteilnahme ist eine unterlassene Hilfeleistung und eine zusätzliche Verletzung.
Ein kleiner Rückblick: Am 14. September 2023 fand in der kosmotique eine Veranstaltung unter dem Titel „Ich komme noch einmal auf den Täter zurück …“ – Antisemitismus, Rassismus und die übersehene Frauenfeindlichkeit des Attentäters von Halle“9 statt. Wir hatten dazu die Radiomacherin Christina Brinkmann von Radio Corax und Mitherausgeberin des Buches „Der Halle-Prozess: Hintergründe und Perspektiven“ sowie den Sozialpsychologen Rolf Pohl eingeladen. Beide haben intensiv den Prozess gegen den Halle-Attentäter im Jahr 2020 verfolgt. Rolf Pohl beobachtete, dass vor Gericht die Frauenfeindlichkeit und der Antifeminismus als Tatmotive unterschlagen wurden. Und das, obwohl der rechtsterroristische Täter sich dazu in einem sogenannten Manifest dazu äußert: „Die Musliminnenfeindschaft taucht als erstes in seiner Feindbildreihung auf – also die angebliche Überflutung durch muslimische Einwander:innen mit hohen Geburtenraten. […] für den damit einhergehenden „Bevölkerungsaustausch“ habe der Feminismus mit seiner Verweigerung von Geburten unter Deutschen gesorgt, was wiederum im Auftrag der jüdischen Weltverschwörung veranlasst und organisiert werde.“10
Im Zentrum der Verbindung von Antisemitismus, Rassismus und Frauenfeindlichkeit steht das Gefühl der Bedrohung einer intakten Männlichkeit. Diese Männlichkeit glaubt, alles Recht der Welt zu haben, solche vermeintlich persönlichen und zugleich als politisch empfundenen Bedrohungen abzuwehren. Sie halluzinieren diese Bedrohung daher auch als eine nationale Gefahr für Volk und Vaterland und bekämpfen sie bis hin zum Mord.
Im Interview beschreibt Pohl die paradoxen antisemitischen Projektionen, die auch auf Frauen bezogen werden können: „Nicht nur Juden, sondern auch Frauen, repräsentieren einerseits Schwäche, ihnen wird ein eigener Subjektstatus, die Souveränität und damit Anerkennung verweigert, ähnlich wie den Juden. Und gleichzeitig repräsentieren Frauen wie die Juden in diesen verwandten Bildern Stärke, Einfluss, und Macht. Beide gelten als fremd und gefährlich, als zersetzend und zerstörend.“ Diese Projektionen teilen Hamas und der Rechtsterrorismus. Der Verzicht auf eine systematische Einbeziehung der geschlechtsbezogenen Aspekte, ihres Zusammenhangs mit den ideologischen Versatzstücken von terroristischem Islamismus und Rechtsterrorismus, ist daher fahrlässig. Für eine umfassende Kritik am Patriarchat und Vorstellungen von Männlichkeit ist es erforderlich, neben der Realisierung, dass Antisemitismus und/oder Rassismus Tatmotive sind, auch den Hass auf FLINTA zu erkennen und zu benennen.
Wir verabschieden uns mit einem Zitat von Veronica Kracher. Sie beschäftigt sich mit der Incel-Subkultur, der Alt-Right-Bewegung und dem Rechtsterrorismus. In Bezug auf Rechtsterrorismus analysiert sie: „Der Terrorakt, so mutet es an, ist nicht nur eine Form der Wiedergutmachung, sondern sogar ein Ritual der Mannwerdung (…). Der männlichste Mann ist hier der Soldat, der sein Leben im Kampf gegen Juden, Feminismus, die Moderne, und somit eigentlich alles auch nur ansatzweise dekadent und weibisch Konnotierte aufgibt.“11
Auch den in Dresden lebenden Juden:Jüdinnen geht es angesichts des Schweigens und der verweigerten Anteilnahme elend. Daher wünschen wir uns, dass die Solidarisierung mit den hier lebenden Jüdinnen und Juden sichtbar, praktisch und herzlich wird. Außerdem, dass wir als Feminist*innen allen Hass gegen FLINTAs sehen, ernst nehmen und verurteilen.
Für den Feminismus hier und überall!
1 Essay zum Angriff der Hamas: Einfach weitermachen ist unmöglich von Deborah Hartmann und Tobias Ebbrecht-Hartmann
2 Hamas führt auch einen Krieg gegen Frauen
3 ebenda
4 Islamismus und sexualisierte Gewalt: Krieg gegen die Frauen von Anastasia Tikhomirova
5 ebenda
6 Stelle für jesidischen Angelegenheiten e.V.: Ein schwarzer Tag für die Weltgemeinschaft: Wir verurteilen die terroristischen Angriffe auf Israel aufs Schärfste.
7 fantifa Leipzig: Keine Räume für Antisemiten (18.10.2023)
8 Ruth Halperin-Kaddari über sexuelle Gewalt beim Hamas-Angriff: »Es geht darum, die schlimmsten Ängste jedes Menschen wahrzumachen« (24.11.2023)
9 Veranstaltungsankündigung „Ich komme noch einmal auf den Täter zurück. Antisemitismus, Rassismus und die übersehene Frauenfeindlichkeit des Attentäters von Halle
10 Das verbindende Element ist eine bedrohte Männlichkeit. Rolf Pohl im Interview mit Christina Brinkmann, erschienen in Der Halle-Prozess: Hintergründe und Perspektiven, von Christina Brinkmann/Nils Krüger/Jakob Schreiter (Hg.)
11 Im Krieg gegen Frauen von Veronika Kracher
Zum Weiterlesen:
Antifeministische Krieger von Bettina Wilpert (nd, 25.11.23)
Und was ist mit den Israelinnen? von Erica Zingher (taz, 25.11.23)
#MeToo unless you’re a Jew – über fehlende Solidarität mit Jüdinnen von Anastasia Tikhomirova (Edition F, 25.11.23)