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Mein Körper gehört weder Kirche noch Deutschland

Weg mit §218! Aufruf zum Protest gegen den Schweigemarsch der CDL in Annaberg Buchholz, 26.05.2014.

Was Feminist_innen erkämpft haben, stellen christliche Fundamentalist_innen seit jeher in Frage: das Selbstbestimmungsrecht von Frauen* [1]. Weltweit befinden sich radikale Abtreibungsgegner_innen im Aufwind. Aktuelle Entwicklungen zeigen, dass das Recht auf Schwangerschaftsabbruch massiv eingeschränkt werden soll, aktuell beispielsweise in Spanien. In Deutschland versammeln sich fundamentalistische Gegner_innen von Schwangerschaftsabbrüchen seit einigen Jahren zu so genannten “Märschen für das Leben”, die in Münster, Berlin und Annaberg-Buchholz stattfinden. Während die Aufmärsche in Münster und Berlin nicht ohne Proteste von Feminist_innen ablaufen konnten, blieb der Annaberg-Buchholzer Schweigemarsch in den vier Jahren seines Bestehens unwidersprochen. Aber uns ist kein Weg zu weit, wir kommen auch nach Annaberg-Buchholz!

Annaberg-Buchholz liegt im Erzgebirge im Südwesten Sachsens, wo sich selbst in der atheistischen DDR eine starke christliche Prägung erhalten hat. Diese war offenbar beste Voraussetzung für das Erstarken streng konservativer Christ_innen, sogenannter Evangelikaler, die durch eine wortgenaue Bibelauslegung, den Glauben an den strafenden Gott, aggressive Missionsarbeit, ihre Klagen über die Zerstörung der traditionellen Familie und ihre Äußerungen gegen Homosexualität von sich reden machen. [2]

Das Kreuz mit dem Kreuz

Über die starke Einflussnahme kirchlicher Einrichtungen im Erzgebirge hinaus bestehen auch Verbindungen in die Politik. Die “Christdemokraten für das Leben” (CDL) Organisator_innen des Schweigemarsches, verfügen in Sachsen bereits seit 1990 über einen eigenen Landesverband innerhalb der CDU. Steffen Flath – CDU-Fraktionsvorsitzender im sächsischen Landtag und prominenter Unterstützer des Schweigemarsches – beteiligt sich seit Jahren mit Redebeiträgen, in denen er das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen fordert. Erklärtes Ziel der CDL ist es, ihren Einfluss in der CDU zu nutzen, um Schwangerschaftsabbrüche nicht nur in Deutschland, sondern weltweit zu kriminalisieren. Die Versuche der christlichen Fundamentalist_innen, auf politische Entscheidungen einzuwirken, haben sich z.B. 2006 im Vorstoß der Gesundheitsminister_innen von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen niedergeschlagen, die Kostenübernahme von Schwangerschaftsabbrüchen durch die Krankenkassen einzuschränken. Mit diesem Anliegen scheiterten sie damals zwar, aber mit weiteren Angriffen auf die Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruches muss gerechnet werden. Auch in anderen Ländern gibt es Versuche christlich-fundamentalistischer Abtreibungsgegner_innen, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch im Zuge der Durchkapitalisierung der Gesundheitssysteme und unter dem Stichwort “Kostensenkung” auszuhöhlen. In der Schweiz fand z.B. Anfang Februar 2014 ein Volksentscheid zur Frage “Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache” statt, in dem über die Abschaffung der Zahlungspflicht der Krankenkassen abgestimmt wurde. Diese fand zum Glück keine Mehrheit. [3]

Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Deutschland

In Deutschland sind die Missstände größer als viele denken. Feminist_innen kämpfen seit jeher gegen den heute immer noch bestehenden §218 des Strafgesetzbuchs, welcher seit 1871 Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland unter Strafe stellt.

In der DDR wurde 1972 erstmals der Schwangerschaftsabbruch in den ersten 12 Wochen entkriminalisiert. Zu dieser Zeit war es das forschrittlichste Abtreibungsgesetz der Welt, im Gegensatz zur BRD, wo erst 1995 die heute gültige Fristenregelung in Kraft trat.

Das bis heute geltende Gesetz sieht einen Schwangerschaftsabbruch weiterhin als Straftat, die nur unter folgenden Umständen nicht strafrechtlich verfolgt wird: Ein Abbruch kann innerhalb der ersten 12 Wochen durchgeführt werden, wenn die schwangere Person zuvor eine staatlich anerkannte Beratung in Anspruch genommen hat. In vielen, vor allem ländlichen, Gebieten wird die erzwungene Beratung nur durch kirchliche Einrichtungen angeboten und die schwangere Person zusätzlich unter Druck gesetzt, sich für die Fortführung der Schwangerschaft zu entscheiden. Hinzu kommt eine dreitägige Wartefrist, die Kosten für diesen medizinischen Eingriff werden nicht durch die Krankenkassen übernommen. Lediglich Geringverdienende können eine finanzielle Unterstützung beantragen. Eine Abtreibung nach den 12 Wochen ist nur bei “hoher Gefahr für die physische oder psychische Gesundheit” der schwangeren Person legal.

Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch weltweit

Auch in den meisten anderen Ländern gibt es restriktive Gesetze, welche die Rechte von Schwangeren massiv einschränken. Einige der wenigen Ausnahmen sind die USA, die Niederlande und Frankreich.

Dieses Jahr hat innerhalb Europas insbesondere Spanien mit einer deutlichen Verschärfung der Rechtslage von sich reden gemacht. Seit den Neu­wah­len 2011 wurden durch die mit absoluter Mehrheit regierende konservative Volkspartei viele gesetzliche Veränderungen veranlasst. Diese bringen nicht nur Sparmaßnahmen mit sich, welche angeblich eine Stablilisierung der Wirtschaft bewirken sollen, sondern auch die Aufhebung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch.

Rechte, die in Spanien erst 2010 erkämpft wurden und endlich zu einer Verbesserung geführt hatten, laufen nun Gefahr, wieder abgeschafft zu werden. Konsequenz dessen: ein Schwangerschaftsabbruch gilt wieder zu jeder Zeit der Schwangerschaft als illegal. Die einzige Ausnahme besteht in Fällen, in denen eine Vergewaltigung oder eine massive physische oder psychische Gesundheitsgefährdung der schwangeren Personen vorliegt. Dies muss jedoch durch zwei unabhängige Gutachten bestätigt werden. Für den Abbruch selbst muss dann eine dritte medizinische Einrichtung aufgesucht werden. Hinzu kommt, dass allen Mediziner_innen das “Recht auf Gewissensfreiheit” eingeräumt wird. In dem katholisch geprägten Land wird damit häufig die Weigerung begründet, Schwangere zu beraten oder einen genehmigten Abbruch durchzuführen. Mediziner_innen, die einen Abbruch ohne das Bestehen der gesetzlich notwendigen Gutachten durchführen, müssen mit Haftstrafen bis zu zehn Jahren rechnen. Immerhin konnte erreicht werden, dass den Schwangeren selbst keine Anzeige mehr droht.

Die tödlichen Folgen der Kriminalisierung

Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen führt dazu, dass Schwangere illegale Abbrüche vornehmen (lassen). Dies geschieht oft fernab der grundsätzlich vorhandenen hygienischen und medizinischen Möglichkeiten. Nur wenige können sich die Reise in Länder mit fortschrittlicheren Regelungen leisten, um dann dort unter sicheren Bedingungen den Eingriff vornehmen zu lassen. Durch die mangelhafte hygienische und medizinische Betreuung kommt es immer wieder zu Komplikationen, welche bis zum Tod der Betroffenen führen. Infolge dessen sterben nach Erhebungen der Weltgesundheitsorganisation jährlich 47.000 Menschen. [4]

Noch schlimmer steht es um die (Be-)Handlungsmöglichkeiten von geflüchteten und illegalisierten schwangeren Personen. Bereits gemeldete Personen müssen sich jede ärztliche Behandlung im Vorfeld von den jeweiligen staatlichen Bearbeiter_innen genehmigen lassen. Illegalisierte Geflüchtete haben nicht das Recht, Ärzt_innen aufzusuchen, und diese sind angehalten, illegalisierte Personen zu melden. Einzige Ausnahme sind direkt lebenserhaltene Maßnahmen, über deren Notwendigkeit aller­dings allein die Ärzt_innen entscheiden. Für nicht gemeldete Personen kann jeder Ärzt_innenbesuch in letzter Konsequenz bedeuten, abgeschoben zu werden.

Warum wir im Kapitalismus von “Selbstbestimmung” und nicht von Selbstbestimmung sprechen

Wenn wir vom Selbstbestimmungsrecht von Frauen* sprechen, so muss noch etwas zu dieser “Selbstbestimmung” gesagt werden. Die Entscheidung für oder gegen ein Kind ist heute keine Privatsache, sondern hochgradig beeinflusst durch diverse gesellschaftliche Bedingungen. Diese sind sowohl ökonomischer als auch ideologischer Natur. Als Verknüpfung von beidem schafft staatliche Bevölkerungspolitik hierbei finanzielle Anreize bzw. Hemmnisse durch Einkommensregulierung (z.B.Elterngeld) oder auch (Nicht-)Bereitstellung von Betreuungs- oder Pflege-Angeboten. Auf ideologischer Ebene wird das Thema “(keine) Kinder” mit der Frage nach dem Fort­bestand der Nation, der Absicherung des gesellschaftlichen Wohl­stands und der Aufrechterhaltung des sozialen Friedens verknüpft und damit zu einer “Gemeinschaftsaufgabe” erklärt, der durch familien- und sozialpolitische Steuerungsmaßnahmen Rechnung getragen werden soll. Für die Einzelnen jedoch scheint das Politische privat zu sein. Die Frage “Kinder bekommen oder nicht?” wird so zur Frage nach individueller Selbstverwirklichung. Dadurch können die durch Sozialabbau sich verschärfenden Probleme individualisiert werden.

Backlash my ass oder Fight the backlash!

Chauvinistische, rückschrittliche Tendenzen sind eine Reaktion auf den neoliberalen Umbau der Gesellschaft und die damit verknüpften individuellen Verunsicherungen. Das bürgerliche Ideal der Hetero-Kleinfamilie als “Keimzelle der Gesellschaft” (oder wahlweise: des Volkes, des Staates), das mit dem Aufkommen des Kapitalismus entstand, ist einem historischen Wandel unterworfen. Heute bröckelt dieses Ideal erheblich, was erst recht zu einem Festklammern an ihm führt. Nach kapitalistischer Logik werden überkommene, ineffizient gewordene Formen des Zusammenlebens über Bord geworfen, was auch emanzipatorische Effekte haben kann. Jedoch werden gegensätzliche ideologische Denkformen als Reaktion immer “mitproduziert”: ein krampfhaftes Festhalten dessen, was im Grunde schon verloren ist.

Dasselbe trifft auf die restriktive Zweigeschlechtlichkeit und daran geknüpfte Geschlechterrollen zu.

Dort, wo kapitalistische Verwertung Gleichstellung und Antidiskriminierung betreibt oder Emanzipationsbestrebungen zulässt, sorgen Religion bzw. Ideologie – selbst eng verwoben mit Verwertungsprozessen – für den entsprechenden Backlash.

Dieser zeigt sich heute in Form von sexistischer Diskriminierung und sexualisierter Gewalt, Homo- und Transphobie, des Rückfalls in klare Geschlechterrollen im Privaten, des gewalttätigen Festhaltens der Zweigeschlechterordnung bis hin zur Verstümmelung intergeschlechtlicher Menschen – und eben auch an dem Auftrieb für Abtreibungsgegnerinnen wie denen in Annaberg Buchholz. All dem gilt es entschlossen entgegenzutreten.

Verbote von Schwangerschaftsabbrüchen und §218 ab­schaffen! Ein Schwangerschaftsabbruch ist keine Straf­tat­, son­dern Men­schen­recht!

  • Wer einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen will, soll dies unter den besten Bedingungen tun können!
  • Wer nicht will, soll nicht dazu gedrängt oder gezwungen werden! Wer sich für ein Kind entscheidet, muss bestmöglich unterstützt werden.
  • Die Bedingungen, die dazu führen, sich für oder gegen ein Kind zu entscheiden müssen Gegenstand öffentlicher Diskussionen sein.
  • Für eine sinnvolle Aufklärung zu Sexualität und Verhütung! Für die rezeptfreie, kostenlose Vergabe von Verhütungsmitteln sowie der Pille-danach!
  • Für einen guten Zugang zu parteilicher, ideologiefreier, qualifizierter Beratung und medizinischer Betreuung – für alle!

Mein Bauch gehört mir! Aborto Libre! Alerta Feminista!

Pro Choice Dresden

Abfahrt nach Annaberg-Buchholz: 26.05.2014, 14:15 Uhr am Bahnhof Neustadt, Schlesischer Platz, wahlweise mit dem Auto oder Zug Zum Weiterlesen:

  • Märsche mit besten Grüßen
  • Gottes Bastion im sächsischen Erzgebirge

[1] * Obwohl wir Geschlechterkategorien als Konstruktion erkennen, ist die Zweigeschlechtlichkeit mitsamt ihren “natürlichen” Zuschreibungen eine gesellschaftliche Realität, mit der wir immer wieder konfrontiert sind. Aus diesem Grund verwenden wir zwar die Bezeichnung “Frauen”, markieren diese aber mit einem Stern. Insbesondere wollen wir in dem Zusammenhang mit Schwangerschaft darauf aufmerksam machen, dass es verschiedene Menschen gibt, die schwanger werden können. Dies kann nicht nur Frauen betreffen, sondern z.B. auch Trans*Männer, intergeschlechtliche Personen oder Menschen, die sich nicht in Geschlechtskategorien einordnen (lassen) möchten.

[2] vgl. Jennifer Stange: Evangelikale in Sachsen. Ein Bericht. (pdf)

[3] vgl. “Abtreibung ist Privatsache” auf der Infoseite Schwangerschaftsabruch der Schweizerischen Vereinigung für Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs

[4] vgl. WHO: Unsafe abortion. Global and regional estimates of the incidence of unsafe abortion and associated mortality in 2008 (pdf, S.28)